Unsere Gewohnheiten und Routinen  sind wie ein unsichtbares Netz, das unserem Alltag Struktur und Halt gibt. Sie laufen automatisch ab und nehmen uns Entscheidungen ab – was einerseits praktisch ist, andererseits aber auch frustrierend sein kann. Denn manchmal haben wir das Gefühl, dass nicht wir unsere Gewohnheiten steuern, sondern sie uns.

Kennst du das? Du nimmst dir fest vor, mehr Sport zu treiben, und landest doch wieder auf der Couch. Oder du willst dich gesünder ernähren, doch der Griff zur Schokolade ist längst Routine geworden. Obwohl du genau weißt, dass dir diese Muster nicht guttun, erwischst du dich immer wieder dabei, in alte Verhaltensweisen zurückzufallen – trotz bester Vorsätze.

Warum ist es so schwer, alte Gewohnheiten und Routinen wirklich zu durchbrechen? Vielleicht, weil wir oft nur an der Oberfläche ansetzen: Wir versuchen, eine alte Routine durch eine neue zu ersetzen. Doch was wäre, wenn es gar nicht darum ginge, eine andere Handlung zu finden – sondern zu verstehen, was wir uns durch die Gewohnheit eigentlich wirklich wünschen?

Der Schlüssel liegt nicht in Willenskraft oder Disziplin, sondern in Klarheit:
💡 Was erhoffe ich mir durch diese Gewohnheit?
💡 Warum suche ich das Gefühl im Aussen – und könnte ich es mir vielleicht selbst geben?

Diesen Fragen werden wir in diesem Artikel auf den Grund gehen. Denn echte Veränderung beginnt nicht mit einem neuen Verhalten – sondern mit einem neuen Bewusstsein.

Warum es so schwer ist, Gewohnheiten zu ändern

Gewohnheiten entstehen durch wiederholte Handlungen, die sich mit der Zeit automatisieren. Sie sind wie das Fahrradfahren: Anfangs erfordert jede Bewegung volle Konzentration. Doch mit jeder Wiederholung werden wir sicherer, bis wir schliesslich einfach aufsteigen und losfahren – ohne darüber nachzudenken. Eine bewusste Routine wird so zu einer unbewussten Gewohnheit. Oft fällt es uns dann sogar schwer, anderen genau zu erklären, wie wir etwas tun.

Gerade diese Automatisierung ist ein grosser Vorteil: Sie spart Energie. Statt jede Handlung bewusst zu überdenken, kann unser Gehirn sich auf wichtigere oder komplexere Aufgaben konzentrieren. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bis zu 95 % unserer täglichen Handlungen unbewusst ablaufen.

Doch genau dieser Mechanismus kann zum Problem werden – nämlich dann, wenn eine Gewohnheit uns nicht mehr dient. Vielleicht ärgern wir uns über eine bestimmte Routine oder spüren, dass sie uns nicht mehr guttut. Doch selbst wenn der ursprüngliche Grund für die Gewohnheit längst nicht mehr relevant ist, hält unser Gehirn oft daran fest.

Fahrradfahren als Beispiel für Gewohnheit

Wenn Gewohnheiten uns nicht mehr dienen

Und genau hier liegt die Schwierigkeit: Gewohnheiten entstehen nicht zufällig. Oft geht es nicht nur um die Routine selbst, sondern um das Gefühl, das wir uns dadurch erhoffen – das Gefühl, etwas geschafft zu haben, gut für uns gesorgt oder Erwartungen erfüllt zu haben, sei es unsere eigene oder die anderer.

Doch was passiert, wenn dieses Gefühl ausbleibt? Wenn aus der anfänglichen Hoffnung auf Anerkennung eine Erwartung wird – und diese nicht erfüllt wird?

🔹 Beispiel: Stell dir vor, du bleibst regelmäßig länger im Büro, in der Hoffnung, Anerkennung oder ein einfaches „Gut gemacht!“ zu bekommen. Doch wenn dieses Lob ausbleibt, fühlt sich die Gewohnheit plötzlich nicht mehr gut an. Was früher sinnvoll erschien, wird heute zur Quelle von Frust und Erschöpfung.

Plötzlich fühlt sich die Gewohnheit nicht mehr unterstützend, sondern einengend an.

Der Schlüssel liegt in der Bewusstwerdung

Solange uns diese Mechanismen nicht bewusst sind, landen wir immer wieder in den alten Mustern – oft begleitet von Frust oder einem schlechten Gewissen, weil wir es trotz aller Mühe, Disziplin und Willenskraft nicht geschafft haben, sie zu durchbrechen.

Doch diese Reaktionen sind kein Zeichen von Schwäche. Sie sind ein Hinweis darauf, dass hinter der Gewohnheit ein Bedürfnis steckt, das erkannt werden möchte. Vielleicht ist es an der Zeit, dieses Gefühl nicht mehr im Aussen zu suchen, sondern es uns selbst zu geben.

Es geht also nicht darum, sich selbst die Schuld zu geben, sondern darum, genauer hinzuschauen:
💡 Warum habe ich diese Gewohnheit ursprünglich etabliert?
💡 Was wollte ich damit erreichen?
💡 Ist das, was sie mir einmal gegeben hat, heute überhaupt noch relevant?

Der Schlüssel zur Veränderung: Bewusstsein

Entscheidend ist zu verstehen, warum eine Gewohnheit entstanden ist und welches Gefühl wir uns dadurch erhoffen. Denn oft sind Gewohnheiten nicht das eigentliche Bedürfnis, sondern nur ein Ersatz für etwas Tieferes – eine Strategie, um ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen.

Wenn eine Gewohnheit ein Ersatz für etwas anderes ist

Ein Beispiel: Als Kind habe ich oft im Keller oder auf Baustellen meines Vaters geholfen. Am Ende gab es immer eine Schokolade – eine Art Anerkennung für meine Arbeit. Mein Gehirn hat damals gelernt:

👉 Anstrengung oder Leistung → Belohnung durch Schokolade.

Diese Verknüpfung hat sich so tief eingeprägt, dass ich als Erwachsene unbewusst genau dieses Muster wiederhole. Nach einem langen, stressigen Arbeitstag greife ich zur Schokolade – nicht, weil ich Hunger habe, sondern weil mein Gehirn mir signalisiert: „Du hast etwas geleistet, jetzt kommt die Belohnung.“

Doch in Wahrheit geht es gar nicht um die Schokolade selbst, sondern um das dahinterliegende Bedürfnis – in diesem Fall Anerkennung.

💡 Wenn ich mir dessen bewusst werde, kann ich mich fragen:
👉 Wie kann ich mir dieses Gefühl selbst geben – ohne eine Ersatzstrategie?
👉 Welche neuen Routinen könnten dieses Bedürfnis nachhaltiger erfüllen?

Ohne dieses Bewusstsein bleiben wir in der Ersatzbefriedigung gefangen. Wir versuchen unbewusst, uns das zu geben, was wir eigentlich auf eine andere Weise brauchen – sei es durch Essen, Social Media oder andere Gewohnheiten.

Den Auslöser erkennen

Jede Gewohnheit beginnt mit einem Auslöser – einem bestimmten Moment, einer Emotion oder einer Situation. Wenn wir diesen Trigger identifizieren, können wir bewusst eine neue Entscheidung treffen, anstatt automatisch in alte Muster zu verfallen.

💡 Frage dich:
👉 Was genau löst meine Gewohnheit aus?
👉 Welches Gefühl suche ich dadurch?
👉 Wie könnte ich mir dieses Gefühl auf eine nachhaltigere Weise geben?

🔹 Beispiel: Statt aus Stress automatisch zum Handy zu greifen, könnte eine bewusste Pause helfen. Statt Bestätigung im Aussen zu suchen, könnten wir lernen, uns selbst für Erfolge anzuerkennen.

Wenn wir unser eigentliches Bedürfnis direkt erfüllen, braucht es keine Ersatz-Befriedigung mehr.

Newton-Pendel als Symbol für Trigger

Wie du deine Gewohnheiten reflektierst und nachhaltig veränderst

Um herauszufinden, wie deine Gewohnheiten dich unbewusst beeinflussen, ist es wichtig, zunächst ihre Muster zu erkennen. Dabei hilft dir der KAMPINADA-Prozess: Er führt dich in vier Schritten durch die Reflexion, damit du das verborgene Bedürfnis hinter deinen Routinen verstehst und gezielt neue, unterstützende Alternativen entwickelst.

Bevor du eine Gewohnheit ändern kannst, musst du verstehen, was du dir eigentlich dadurch erhoffst.Denn oft versuchen wir, ein Gefühl zu erreichen – aber über eine Ersatzstrategie.

💡 Frage dich: Welches Gefühl suche ich eigentlich?

  • Will ich mich wertgeschätzt fühlen?
  • Will ich Sicherheit spüren?
  • Will ich Entspannung oder Freiheit?
  • Will ich gemocht oder geliebt werden?

🔹 Beispiel: „Ich scrolle oft auf meinem Handy. Mit dem Scrollen verbinde ich eine schnelle Belohnung durch neue Inhalte. Es gibt mir das Gefühl einer kurzen Pause und Ablenkung.“

Erkenntnis: Ich suche nicht das Handy oder die Schokolade – sondern das Gefühl dahinter.

Jetzt geht es darum, den Trigger und das Muster hinter der Gewohnheit zu erkennen.

💡 Wann tritt die Gewohnheit auf?
Jede Gewohnheit wird durch einen bestimmten Auslöser aktiviert. Gibt es wiederkehrende Tageszeiten, Situationen oder emotionale Zustände, die dein Verhalten triggern?

🔹 Beispiel: „Ich scrolle auf meinem Handy, wenn ich mich gestresst fühle oder eine unangenehme Aufgabe vor mir herschiebe.“

💡 Welche unbewusste Überzeugung steckt dahinter?
Manche Gewohnheiten beruhen auf tief verankerten Überzeugungen. Frage dich:

  • Warum glaube ich, dass diese Gewohnheit mir das gewünschte Gefühl gibt?
  • Gibt es eine frühere Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass dieses Verhalten notwendig oder hilfreich ist?

🔹 Beispiel: „Hilft mir das Scrollen wirklich, um meinen Stress abzubauen – oder lenkt es mich nur kurzfristig ab, ohne das Problem zu lösen?“

Erkenntnis:Ich bin nicht „einfach willensschwach“ – mein Gehirn hat eine feste Verknüpfung geschaffen, die automatisch abläuft.

Jetzt, wo du dein Muster kennst, kannst du überlegen:
💡 Brauche ich wirklich eine neue Handlung – oder kann ich mir das Gefühl direkt selbst geben?

Sobald du erkannt hast, welches Bedürfnis hinter deiner Gewohnheit steckt, könntest du nach einer bewussten Alternative suchen, um es auf eine nachhaltigere Weise zu erfüllen.

🔹 Beispiel: „Wenn ich merke, dass ich eine unangenehme Aufgabe aufschiebe, könnte ich mir bewusst eine Pause an der frischen Luft gönnen, um neue Energie zu sammeln – anstatt auf meinem Handy zu scrollen.“

Doch was wäre, wenn es gar keine Alternative bräuchte?

Denn warum suchen wir Anerkennung in der Schokolade, Bestätigung in sozialen Medien oder Entlastung in Ablenkung? Weil wir irgendwann gelernt haben, dass diese äußeren Dinge uns kurzzeitig ein gutes Gefühl geben. Doch in Wahrheit ist das, wonach wir suchen, bereits in uns.

💡 Statt eine Ersatzstrategie zu finden, könnten wir uns einfach selbst sagen:
👉 „Ich habe genug getan.“
👉 „Ich bin gut so, wie ich bin.“
👉 „Ich brauche keine Bestätigung im Aussen, weil ich mir selbst Anerkennung geben kann.“

Wenn wir uns das selbst geben, löst sich der Drang nach der alten Gewohnheit auf. Plötzlich braucht es keine Ersatzstrategie mehr – weil das, wonach wir suchen, gar nicht mehr fehlt.

Erkenntnis: Ich muss keine Ersatzhandlung finden – ich kann das Gefühl direkt in mir erzeugen.

Jetzt geht es darum, diese Erkenntnisse im Alltag bewusst wahrzunehmen.

💡 Achte auf Situationen, in denen du in alte Muster verfällst.
Statt aus Gewohnheit zum Handy oder zur Schokolade zu greifen, kannst du innehalten und dich fragen:

  • Was brauche ich gerade wirklich?
  • Kann ich mir das Gefühl auf direktem Weg geben?
  • Wie kann ich liebevoll mit mir umgehen, wenn ich doch in alte Muster falle?

Und ja, falls du dich doch wieder in einer alten Gewohnheit wiederfindest – nicht ärgern! Das ist kein Zeichen des Scheiterns, sondern ein Moment der Bewusstwerdung. Jedes Mal, wenn du innehalten und reflektieren kannst, bist du bereits auf dem Weg der Veränderung.

Erkenntnis: Ich muss mich nicht ändern – ich muss mich nur bewusst beobachten. Veränderung geschieht dann von selbst.

💡 Kurz zusammengefasst:

  • Schritt 1: Erkenne dein wahres Bedürfnis. Was suchst du wirklich hinter der Gewohnheit?
  • Schritt 2: Finde den Trigger. Wann und warum tritt sie auf?
  • Schritt 3: Verändere deine Strategie. Brauchst du wirklich eine neue Handlung – oder kannst du dir das Gefühl selbst geben?
  • Schritt 4: Setze es bewusst im Alltag um. Achte darauf, wie du mit deinen Gewohnheiten umgehst und wie du dich selbst stärkst.
KAMPINADA-Prozess

Fazit: Veränderung beginnt mit Klarheit – und mit dir selbst

Neue Routinen entstehen nicht durch reine Willenskraft, sondern durch Bewusstsein. Wenn du verstehst, welches Bedürfnis hinter alten Gewohnheiten steckt, kannst du aktiv neue, unterstützende Muster aufbauen – oder sogar erkennen, dass du das gesuchte Gefühl gar nicht im Aussen brauchst.

Sobald du deine Trigger erkannt hast, kannst du bewusst entscheiden, anders zu reagieren. Wichtig ist, dass du nicht versuchst, alte Muster durch Disziplin zu unterdrücken, sondern dass du hinterfragst:

💡 Brauche ich wirklich eine neue Handlung – oder kann ich mir das Gefühl direkt selbst geben?

Denn wahre Veränderung bedeutet nicht nur, eine alternative Routine zu finden – sondern zu erkennen, dass du dir das, wonach du suchst, selbst geben kannst. Die größte Veränderung geschieht nicht durch neue Methoden, sondern durch die Erkenntnis, dass du bereits genug bist.

Und ja, wenn du in alte Muster zurückfällst – ärgere dich nicht. Das ist ganz normal! Aber mit jeder bewussten Entscheidung, mit jedem „Ich sehe dich, Gewohnheit – aber ich brauche dich nicht mehr“, wirst du freier.

Weiterführende Informationen

📘 Mehr über unbewusste Entscheidungen erfahren:
Andrea Kiesel (2020) Verarbeitet das Gehirn 95 % aller Informationen unbewusst?
Hier lesen (Letzter Zugriff: 13.02.2025)

📘 Mehr über Gewohnheiten erfahren:
Daniel Hausmann-Thürig (2016) Ressourcen zur Veränderung von Verhaltensmustern aus ganzheitlicher Sicht, IKP-Symposium 2016
Hier lesen (Letzter Zugriff: 13.02.2025)

📘 Warum es so schwer ist, Gewohnheiten zu verändern:
Maren Urner (2016) Wie wir schlechte Gewohnheiten brechen
Hier lesen (Letzter Zugriff: 13.02.2025)

🎥 Kurzfilm zu: Warum brauchen wir Gewohnheiten?
Darum brauchen wir Gewohnheiten – Quarks (WDR)