Kennst du das Gefühl, in einem Gespräch plötzlich von alten Emotionen übermannt zu werden? Diese unerwarteten Momente, in denen die Vergangenheit scheinbar die Kontrolle übernimmt, sind uns allen vertraut. Oft beruhigen wir uns, unterdrücken die Emotionen und glauben, die Kontrolle zurückgewonnen zu haben. Doch in Wahrheit warten unsere Gefühle nur auf den nächsten passenden Augenblick, um erneut aufzutauchen.
Wenn uns Gefühle aus der Bahn werfen, deutet das darauf hin, dass wir Erlebnisse aus der Vergangenheit noch nicht vollständig verarbeitet haben. Solche unverarbeiteten Emotionen schleichen sich in ähnliche Situationen der Gegenwart ein und belasten uns. Doch statt sie zu ignorieren, könnten wir genau diese Momente nutzen, um Vergangenes loszulassen. Oft ist dies mit Vergebung verbunden – Vergebung uns selbst und anderen gegenüber. In diesem Artikel zeige ich dir, wie du durch Vergebung und Reflexion alte Wunden heilen kannst, um die Gegenwart unbeschwert zu geniessen.
Eine persönliche Geschichte zur Unterdrückung meiner Wut
Ich hatte oft das Gefühl, nicht intelligent genug zu sein. Jeder Misserfolg und jede Kritik schienen diesen Glauben zu bestätigen. Diese Situationen lösten eine tiefe Wut in mir aus – Wut auf mich selbst. Lange Zeit konnte ich diese Wut unterdrücken, bis zu jenem Tag, an dem ich die Kontrolle verlor.
Mein damaliger Vorgesetzter sagte zu mir: „Daniela, vielleicht war das nicht besonders schlau.“ Dieser Satz traf mich wie ein Schlag. Plötzlich überkam mich eine Wut, als wäre es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich verlor für einen Moment die Kontrolle, meine Klarheit verschwand und ich wurde laut. Doch als ich sah, wie mein Gegenüber einen Schritt zurücktrat, kehrte meine Besonnenheit zurück. Ich konnte mich wieder fassen und die Situation beruhigen.
In diesem Moment wurde mir klar: Ich musste etwas ändern. Der Satz meines Chefs war nur ein Auslöser, doch die heftige Reaktion war meine Verantwortung. Ich nahm mir Zeit, um zu reflektieren, warum mich dieser eine Satz so sehr traf. Warum diese Wut? Bin ich tatsächlich nicht schlau genug? Warum glaube ich das? Vergangene Erlebnisse aus meiner Schulzeit kamen hoch, begleitet von erneuter Wut. Doch gleichzeitig erkannte ich die Chance, diesen alten Schmerz loszulassen und zu vergeben. Ich fragte mich, warum es damals so war und ob ich die Situationen vielleicht falsch eingeschätzt hatte.
Mit jedem Schritt der Reflexion liess ich mehr los. Heute, wenn jemand einen ähnlichen Satz sagt, bleibe ich ruhig und klar. Ich kann sinnvoll reagieren, ohne von alten Emotionen überwältigt zu werden.
Was ist Vergebung?
Vergebung bedeutet nicht, das Geschehene zu vergessen oder zu billigen. Vielmehr ist es eine bewusste Entscheidung: Halten wir an der Vergangenheit fest oder lassen wir sie los? Vergebung beginnt oft damit, die damalige Situation rational zu akzeptieren, zum Beispiel mit dem Gedanken: „Das ist meine Vergangenheit. Sie ist unveränderlich und vorbei – und heute wähle ich einen anderen Weg.“ Dadurch können wir der damaligen Situation auf Augenhöhe begegnen und die Umstände sowie unseren eigenen Beitrag besser verstehen.
Dieser Prozess hilft uns, die Emotionen nach und nach zu akzeptieren, und ermöglicht es uns, uns selbst und anderen zu vergeben.
Schritte zum Vergeben
Vergebung ist kein einfacher Schritt, doch allein die Entscheidung, etwas vergeben zu wollen, ist ein grossartiger Anfang. Dieser Prozess kann sehr emotional sein, und es ist oft sinnvoll, sich Unterstützung zu holen. Doch auch bei leichteren Themen können dir folgende Schritte helfen, aktuelle Situationen zu nutzen, um vergangene Belastungen loszulassen.
Schritt 01
Gefühle anerkennen
Wenn in einer Situation unerwartete Emotionen hochkommen, speichere diesen Moment innerlich ab und sage dir: „Danke, Gefühl. Ich werde mich später darum kümmern.“ So wertschätzt du dich selbst und das Gefühl und kannst die aktuelle Situation freier und klarer angehen.
Schritt 02
Vergangenheit reflektieren
Nimm dir Zeit, um die Situation, die die Emotion ausgelöst hat, zu reflektieren. Was genau hat das Gefühl ausgelöst? War es ein Satz, ein Geräusch, eine Mimik, ein Geruch? Wenn du den Auslöser gefunden hast, überlege, was er dir sagen möchte. Woran erinnert er dich? Welche Situation aus der Vergangenheit ist damit verbunden? Wie hast du dich damals gefühlt?
Schritt 03
Auf Augenhöhe bleiben
Wenn die alten Gefühle wieder hochkommen, sage dir innerlich oder laut: „Stopp. Das war damals. Ich bin jetzt erwachsen. Das sind alte Gefühle aus der Vergangenheit.“ Atme tief ein uns aus und warte einen Moment ab. Dies hilft dir, klar zu bleiben und die damalige Situation besser zu verstehen.
Schritt 04
Perspektivenwechsel
Versetze dich nun in die Lage der anderen Person. Wie hat sie sich wohl gefühlt? Was könnten ihre Beweggründe gewesen sein? Dieser Perspektivenwechsel fördert Empathie und ein tieferes Verständnis für die damalige Situation.
Schritt 05
Brief der Vergebung
Schreibe einen Brief an die Person, der du vergeben möchtest. Dieser Brief ist nur für dich und wird nicht abgeschickt. Drücke darin sowohl deine Wertschätzung als auch deine Verletzungen aus. Erlaube dir, die Perspektive der anderen Person zu erkunden – was erkennst du heute, was du damals nicht gesehen hast? Dieser Prozess unterstützt die emotionale Verarbeitung.
Schritt 06
Loslassen
Zerreisse den Brief und lasse damit die Vergangenheit los.
Fazit
Vergebung ist ein individueller und oft herausfordernder Prozess. Er fordert von uns, sich den Schmerz und die Emotionen anzusehen, sie zu akzeptieren und schliesslich loszulassen. Dieser Weg kann durch Reflexion, Gespräche mit Vertrauten oder professionelle Unterstützung begangen werden.
Die Reise zur Vergebung ist eine Reise zu uns selbst. Sie erfordert Mut, Ehrlichkeit und das Engagement, sich unseren alten Gefühlen und Verletzungen zu stellen. Doch am Ende dieses Weges wartet Freiheit – die Freiheit, ohne die Last der Vergangenheit zu leben.
Wie sieht es bei dir aus? Was hilft dir zu verzeihen? Was hindert dich? Teile deine Gedanken und Erfahrungen mit uns.
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